Betäubungsmittel und Missbrauch von Notrufen: Strafverhandlungen in Jugendsachen aus nächster Nähe
Nach den mittlerweile an Gerichten üblichen Einlasskontrollen begann die erste Hauptverhandlung vor dem Jugendgericht, die aufgrund der Volljährigkeit des Angeklagten öffentlich war. Diesem wurde vorgeworfen, eine geringe Menge Marihuana bei einem abendlichen Kneipenbesuch in Kitzingen mit sich geführt zu haben, was nach dem Betäubungsmittelgesetz eine strafbare Handlung ist. Im Zuge der Beweisaufnahme gab ein Freund des Beschuldigten zu Protokoll, dass er ihm die Drogen (versehentlich) zugesteckt hatte, was auch von dem in der Ermittlung zuständigen Polizeibeamten nicht widerlegt werden konnte. Nicht zuletzt aufgrund der von der Jugendgerichtshilfe bescheinigten günstigen Sozialprognose (z.B. letztes Ausbildungsjahr) einigten sich der vorsitzende Richter Hülle und die Staatsanwaltschaft auf eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit, auch wenn an den Aussagen der Beteiligten Zweifel bestehen blieben.
Wesentlich größere Bedenken bei allen Prozessteilnehmern hinterließ im anschließenden Fall der Heranwachsende, der das Gericht davon überzeugen wollte, einem Mann auf der Straße sein Handy geliehen zu haben, damit dieser einen Notruf bei der Polizei absetzen könne. Diese rückte schwerbewaffnet an, weil der Anrufer einen Mann mit einer scharfen Waffe gesehen haben wollte, was sich aber als Falschmeldung herausstellte. Neben den widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten deutete vor allem ein Gutachten des LKA darauf hin, dass die Geschichte mit dem unbekannten Mann eine Erfindung ist. Eine im Gerichtssaal vorgespielte Tonbandaufnahme von der Vernehmung des jungen Mannes ähnelte doch sehr der Sprache und Stimme des Anrufers, wovon auch die Schülerinnen und Schüler überzeugt waren. Dies führte in der Summe dazu, dass das Urteil „schuldig“ hieß, obwohl der Verteidiger auf Freispruch plädierte. Richter Hülle entschied sich (nur) zu einer Auflage von 800 Euro als erzieherischen Effekt für den jungen Azubi, weil ihn der von der Anklage geforderte Jugendarrest beim letzten Mal „nicht lange beeindruckt“ habe.
Im Namen des Kurses möchte ich mich ganz herzlich bei Richter Hülle bedanken, dass er sich in den Verhandlungspausen viel Zeit für Fragen und Erklärungen genommen hat, was zu einem äußerst interessanten und lehrreichen Einblick in die Praxis des (Jugend-) Strafrechts beigetragen hat.
Andreas Müller