Woyzeck – Applaus für eine beeindruckende Theaterleistung
Die Bühne erhellt ein Dämmerlicht, Schönbergs Pianotöne verstummen. Woyzeck schreckt aus einem Alptraum auf und weckt seinen vermeintlichen Freund Andres: „Wach auf, Andres! Wach auf!“. Schon zu Beginn der ersten Szene fällt die hohe schauspielerische Intensität des Hauptdarstellers Linus Stabenow auf, der in der Figur des halluzinierenden Woyzeck keineswegs überzeichnend, sondern eben glaubhaft brilliert.
Beide Soldaten teilen sich in einem grauen Kasernenzimmer eine Matratze. Ein Paravent trennt die beengte Welt Woyzecks auf der Bühne von der seiner Freundin Marie ab, die ebenfalls ärmlich auf einem Feldbett mit einer Decke aus mehreren bunten Flecken außerhalb der Kaserne beim gemeinsamen Kind schläft. Beide können an dem scheinbar goldenen Leben der Zwanziger nicht teilnehmen. Zudem ahnt der Protagonist Woyzeck nicht, dass Andres auch wieder in dieser Nacht Marie besuchen wird, die sich nach einem gesunden und energetischen Mann sehnt.
Linus Stabenow als Woyzeck und Lina Zeitz als Marie verkörpern jeweils zwei in ihrer sozialen Rolle gefangene Personen. Lina stellt Marie empathisch als eine verzweifelte Frau mit unehelichem Kind dar, die mit dem Tambourmajor Andres, der temperamentvoll von Lorenz Stradtner gespielt wird, ihren Zwängen entfliehen will und dabei aber gleichermaßen in Scham und Traum versinkt. Von Franka Schulze und Tabea Bosch wird sie musikalisch gefühlvoll mit „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ flankiert, bis sie wieder mit der Realität konfrontiert wird.
Die Tänzerin Magret (Selina Herbst) und die Tratschtante Stella (Stella Türker) gönnen Marie den Frauenschwarm nicht. Mit ihrem Kopfschmuck, den Federboas, dem stilvollen schwarzen Abendkleid heben sie sich nur zu gerne von ihr ab. Magret weist sie aus Eifersucht sogar auf ihre Untreue hin, die Woyzeck nach einem Auftritt der in glitzernden Cocktailkleidern tanzenden Chicago Charleston Chicks schmerzhaft erfahren muss. In einem Handgemenge mit Andres geht er als Unterlegener hervor. Diese Demütigung ist zuviel für ihn. Hat er nicht schon vom überzeugend autoritär und arrogant auftretenden Hauptmann (Murathan Okur) erfahren, dass Marie untreu ist, er keine Moral hat und „dumm, ganz abscheulich dumm ist“? In seiner Verzweiflung, der psychischen Zerrüttung und körperlichen Not, hilft ihm der von Henriette Braun beeindruckend dargebotene Doktor nicht, für ihn ist er nur ein Forschungsgegenstand: „Subjekt Woyzeck“. Die Studentin (Paula Leimeister) ist zwar entsetzt, aber repräsentiert keine eigenständig handelnde Hilfe für Woyzeck. Er findet auch keinen Trost mehr bei den Kunststücken der Tierdarsteller des Jahrmarktes (Lorenz Stradtner und Alexander Herrmann), den Neuigkeiten der Zeitungsverkäuferin (Bianca Steinmann), den Drinks der um Ordnung bemühten Wirtin (Lisa Lehritter). Er kauft sich ein Messer und wird seine Geliebte ermorden. Die Polizisten (Nadja Nolte und Lena Engel) stellen den verwirrten Mörder und stellen fest: „Ein guter Mord, ein schöner Mord.“
Vor der expressiven Kulisse mit kubischer Bar, dreieckigen roten Bäumen, die wie verlängerte Mordwaffen drohen, schließt das in den Bann ziehende Drama, das sowohl durch Gesang und Tanz als auch durch schwungvolle sowie gefühlvolle Musikuntermalung überzeugend in die 20er Jahre transportiert werden konnte. Die schauspielerischen Leistungen verdienen großes Lob.
Ein großer Dank geht an Martin Burkard für die musikalische Leitung, Ulrike Dietrich-Knobling für das Bühnenbild, an Iris Ruppert für die Tanzchoreographie und die Chicago Charleston Chicks für die belebenden Showeinlagen, an Martin Oltsch für die technische Betreuung und an Stefan Bellmanns Team für den Bühnenaufbau.
Florian Schwegler ist es zu verdanken, dass das intensive Theatererlebnis durch die durchdachten Lichteffekte und die hervorragende Tontechnik getragen wurde.
Schließlich wollen wir uns bei allem Zuschauern, Förderern, Eltern, dem Lehrerkollegium und der Schulleitung für die Offenheit und Unterstützung bedanken.
Florian Geißler